Sinn, Unsinn und Risiken von Bauen in AW

Die Bedingungen scheinen einmalig: Völlig umsonst (wenn man mal von den Telefonkosten absieht) kann man den Browser von AW laden und wenigstens in der Alpha-Welt kann jeder soviel und so lange Land bebauen, wie as die private Kasse die Telefongebühren aushält. Jedenfalls war das bis Ende 2001 so - seit diesem Jahr muß man im AW-Hauptuniversum 10 Dollar pro Monat zahlen. Das einzige AW-Universum, das noch umsonst zugänglich ist, ist City4all. Und da erhält jeder nur eine begrenzte Parzelle. Aber wie dem auch sei: Jeder erfüllt sich erst mal seine Träume. Er baut das Haus, das er schon immer haben wollte, in dem er leben will.

Die Meisten geben angesichts der technischen Probleme sehr schnell entnervt auf. Die Begrenztheit des Speichers macht das, was man wollte, einfach nicht möglich. Die permanenten Diskussionen mit dem Buildings Manager reiben auf. Dazu kommt, daß die Anzahl der verfügbaren Objekte doch sehr klein ist und auch mit zunehmender Kenntnis des Gebrauchs der Texturen die Unzufriedenheit wächst. Fenster, Türen und Wände sind oft nur als einschichtige Folien zu haben. Und eine Feldsteinmauer, die sich schon auf den ersten Blick als Papierkulisse enttarnt, wirkt eben nur lächerlich. Oft sind diejenigen, die dennoch weiterbauen, einfach nur die Leute, die kein Gefühl für diese Absurdität haben.

Dazu kommt dann eine andere Desillusionierung: Das Haus ist fertig und man hat sich das erfüllt, was man sich immer erträumt hatte. Der Kamin knistert, im Fernsehen läuft das bevorzugte Programm. Das Bier auf dem Tisch vermittelt mit der beer.wav fast das Gefühl eines echten Getränks. Man schleppt Bekannte oder Wildfremde vom Gate in die fertige Behausung. "Cool" finden sie das bestenfalls oder langweilen sich sichtlich schnell. Und man bleibt allein im geliebten Traumhaus zurück. Dieses Haus ist eben keins zum Wohnen. Man kann im digitalen, noch so schön texturierten Bett nicht schlafen, in die Sessel kann man sich nicht setzen, das nur alle 30 Sekunden wechselnde Fernsehbild langweilt. Bestenfalls wird man noch vom Nachbarn, der gerade mit dem Bauen anfängt, nach den frischerworbenen Erfahrungen gefragt, die man jetzt mit einer gewissen Befriedigung gönnerhaft dem staunenden Newbie anbieten kann. Kaum 3 Wochen in AW ist man schon ein alter Hase. Andere, die mit Dir gekommen sind, haben längst aufgegeben.

Diese Krise erlebt jeder und das ist auch der Grund, warum nur so wenige Leute in AW bleiben. Immerhin gibt es eine Anzahl von Auswegen:

Der erste ist der sozusagen Natürlichste. Man nutzt das weltweite 3d-Chatsystem, um Bekanntschaften anzuknüpfen, Freunde zu finden, zu quatschen und zu diskutieren. Aber das hat natürlich auch seine Schattenseiten. Zwar sind im Unterschied zur ersten Realität hier alle kontaktbereit und suchen sogar das Gespräch mit Dir. Aber diese Kontakte bleiben merkwürdig flach und beschränken sich meist auf die Klärung der beliebten Frage nach dem woher oder auch nur des üblichen angloamerikanischen How-do-you-do, auf das ich persönlich immer noch nicht sinnvoll antworten kann.

Davon abgesehen bleiben die Gespräche folgenlos, Verabredungen werden sehr selten eingehalten. Es gibt eigentlich gar keine menschlichen Verbindlichkeiten. Als Chance des Systems wird gelegentlich sogar gesehen, sich so daneben zu verhalten , wie man das schon immer mal wollte. Weil die Sache hier ja folgenlos bleibt.

Immerhin - man kann auch in AW auf Dauer ganz gute Bekannte finden (und es soll sogar Fälle gegeben haben, in denen hier Ehen ihren Anfang nahmen). Und: Ein Ekel wird auch in den weiten Welten von AW schnell als Ekel enttarnt und dann beispielsweise "gemutet" (mit rechter Maustaste die Person anklicken und dann "mute" wählen).

Die zweite Möglichkeit ist, sich die verschiedenen Welten und Universen anzugucken. Und wenn man die ersten Verzückungen beispielweile über "Cyborg Nation" hinter sich gelassen hat, wird man auch in der scheinbar tristen Einfamilienhaus-Einöde von Alpha hier und dort interessante und wirklich berührende Erlebnisse haben. Man muß bloß eine Weile suchen und sich durch die zahlreichen Teleporter in immer neue Gegenden entführen lassen (die allerdings meist nur Enttäuschungen bieten). Immerhin findet man auf Dauer seine Orte, solche, die man nur eine Zeitlang mit Freunden besucht aber auch solche, wo man immer wieder hingeht. Und man tauscht sich aus, erzählt sich gegenseitig von interessanten Erlebnissen. Die virtuellen Welten von AW haben eben wie jede andere Realität ihre Licht- und ihre Schattenseiten.

Mein Ausweg ist es zunächst gewesen, selbst systematischer Builder zu werden und die Landschaften aufzubauen, von denen ich schon immer geträumt haben. Landschaftsparks, bei deren Bau früher reiche Herren Pleite gingen, sind hier zum Telefontarif möglich, Tempel, Burgen, Seen, Dungeons. Das kann der eigentliche Sinn von Builden in AW sein: Interessante Umgebungen für Leute zu schaffen, die allein oder gemeinsam mit Freunden in einer nach Ideen geformten Landschaft etwas erleben wollen. Bei solchen Projekten gibt es einen geheimen Wettbewerb zwischen den Buildern. Einer lernt vom anderen und die erstaunlichsten Ergebnisse entstehen durch Kombinationen von Objekten und Texturen. Wer von den Produzenten der Objekte hat ursprünglich daran gedacht, daß die Sessel mit den verschiedenen auf dem AW-Server erhältlichen meist tristen Bildern texturiert werden können und plötzlich in den überraschendsten Farben strahlen? Aber es geht und der Builder des Mount Bob hat ein für allemal gezeigt, wie man aus den AW-Objekten Gebirge formen kann. Ich selbst bin stolz darauf, an meinem Silbersee gezeigt zu haben, wie man Seen gestalten kann, die wirkliche Tiefe haben, in die man hineinfallen und in denen man tauchen kann. Aber die ursprüngliche Idee ist natürlich nicht von mir, sondern aus der Privatwelt Patagonien. Und van Gent hat in seinem Burggraben die Idee weiter entwickelt. Das Wasser steht Dir dort bis zum Hals und zeigt echte Bewegung, während Du läufst und es plätschert auch dabei stilecht. Oder das Dungeon von Transx in German. Die Idee ist nicht von ihm, aber in dieser Vollkommenheit und Konsequenz hat er sie als erster durchgeführt. Beispielsweise das Texturieren von Decken, das ich bisher nirgendwo in AW gesehen habe. Andere werden kommen, die diese Entwicklungen aufgreifen und weiterführen.

Die Schattenseite ist natürlich klar. Die Builder schaffen aus reiner Freude an der Sache auf eigene Rechnung schöne und interessante Umgebungen, die eines Tages nur den Händlern zum Verkauf ihrer öden Produkte dienen werden, nämlich, sobald sie begriffen haben, daß man beispielsweise in den tristen Glas- und Betonfassaden von Coolworld keine Produkte verkaufen kann und daß eine Pornoausstellung unter einer Kunstausstellung kein "Underground", sondern auf Dauer einfach bloß langweilig und läppisch ist. Aber das ist halt so. Irgendwer muß schließlich diese digitalen Welten, die eine neue Dimension für die Menschheit sein können, finanzieren und Handel ist eine ab und zu nervende aber prinzipiell nützliche Tätigkeit.

Mehr Beachtung finden da die Copyrights der Objektemacher und ich bin auf Dauer und mit wachsender Begeisterung einer geworden. Zwar ist die Anschaffung einer eigenen virtuellen Welt im AW-System ein ständig teurer werdender Spaß, aber ich finde nach wie vor, daß sich der Aufwand lohnt. In meiner virtuellen Welt Bellevue, die ich zuerst 1997 im AW-Hauptuniversum hatte, seit 1999 im City4all-Universum, verwirkliche ich meine 3d-Träume. Ich verdiene auch hin und wieder etwas Geld mit dem Verkauf von Objekten, das allerdings in keinem Verhältnis zum Zeitaufwand steht. Vieles habe ich verschenkt. Aber ich werde auch häufig bestohlen. Dagegen kann man wenig tun, weil es sich einerseits um lächerliche Streitsummen handelt, andererseits die Rechtslage bei Copyrights von 3d-Objekten bestenfalls unklar ist und schließlich der Aufwand in keinem Verhältnis zum eventuellen Ergebnis steht. Einer der seinerzeit berühmtesten Objektemacher von AW, Rjinswand, schrieb mir dazu, daß man es als Kompliment betrachten solle, wenn man bestohlen wird. Was mir immer bleibt, ist die Fähigkeit zu immer neuen 3d-Ideen, die ich immer ausgefeilter umsetzen kann. Da kann ich über den lächerlichen Märchenbrunnen, meinen ersten Glockenstuhl und anderes nur lachen, die seit Jahren von Welteigentümer zu Welteigentümer weitergegeben werden.

Problematisch ist und bleibt, daß das AW-3d-Chatsystem kein Allgemeinbesitz der Menschheit ist wie das Internet. Es sind Privatwelten und Privatuniversen und die Eigentümer sind in ihren Universen und Welten praktisch Gott. Sie haben das Recht, jeden auszusperren, dessen Nase ihnen nicht paßt oder ihre eigenen Äußerungen über den sogenannten Public Speaker im Unterschied zu den Äußerungen anderer im Fettdruck erscheinen zu lassen. Das wäre nicht so schlimm, weil man es schnell lernt, Welten zu meiden, in denen der Welteigentümer am Ground Zero auf schmeichel- und unterdrückungswillige Besucher lauert. Leider neigen auch seit jeher die verschiedenen Eigentümergesellschaften der AW-Software - sooft das System auch verkauft und gekauft worden ist - stets zu einer mehr oder weniger milden Form der Willkür und des Machtmißbrauchs. Hinzu kommt, daß AW über die update.exe (die ja so schön bequem ist!) wahrscheinlich auch Lesezugriff auf die gesamte Platte des Users hat. Das muß man, denke ich, wissen, wenn man in AW ist.

Schlußfolgerungen will ich eigentlich nicht ziehen. Ich wollte hier nur über meine Erfahrungen mit AW reden und diejenigen, die das lesen, auch dazu anregen, nicht so schnell aufzugeben, wenn sich die ersten Schwierigkeiten zeigen. Aber ich wollte auch die Risken zeigen, auf die man sich in AW einläßt. Datenbanken und erst recht sehr private Dateien gehören eben nicht auf die Festplatte oder sollten mit PGP oder mindestens mit DES verschlüsselt werden. Der Große Bruder liest mit und daß man mit Informationssammlungen die Welt beherrschen kann, haben schon in der Vergangenheit die Jesuiten gezeigt. Nein, das sind keine Weltverschwörungstheorien, das könnte bittere Realität werden.

 
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